Stell dir vor, du trinkst täglich 12 bis 15 Liter Flüssigkeit. Du ernährst dich mit Flüssignahrung, Püree, Reis, Lachs, Nudeln und Gels. Das Alles auf dem Rad und nur auf dem Rad. Das ist Race across America – das härteste und längste Radrennen der Welt.
Regionalsportgründer Erwin Hofbauer traf Patric Grüner zum Interview nach seiner Teilnahme am RAAM. Was es bedeutet, wenn ein Athlet körperlich und mental top fit ist aber nur ein paar Muskeln nicht stabil genug sind. Welche Strapazen ein Mensch aufnimmt um seinen Traum zu leben, im nachfolgenden Interview.
„Es wäre hirnrissig gewesen weiterzufahren, wenn eine Querschnittslähmung im Haus steht. Erfahrungen haben wir viele gesammelt.“ Patric Grüner
RSP: Was bedeutet das Race across America emotional für dich?
Patric Grüner: Seit 36 Jahre gibt es das RAAM und es ist das längste und mittlerweile das härteste Rennen der Welt. Jeder Langstreckenfahrer sollte es einmal gefahren sein.
RSP: Wie hast du dich auf dieses Rennen vorbereitet?
Patric Grüner: Ich habe an sechs Tagen – neben meinem halbtags Job - die Woche trainiert. Der Sonntag ist ein heiliger Tag für mich an dem ich nichts tue.
RSP: Was ist bei so einem Rennen wichtiger. Die mentale oder die körperliche Stärke?
Patric Grüner: Es sind ganz viele Faktoren die bei so einem Rennen zusammenhängen. Du musst körperlich total fit sein und mentale Stärke besitzen, also im Kopf total hart mit dir sein; wegen dem fehlenden Schlaf zum Beispiel.
RSP: Wie war das bei dir?
Patric Grüner: Ich bin über die Startlinie und die acht Meilen Neutralisierung gefahren. Danach habe ich zwei Tage lang nichts mehr wahrgenommen. Meine Aufgabe war es, zu treten, essen und zu trinken. Ich war körperlich und mental fit, nur eben der Nacken nicht.
RSP: Wie lange hast du trainiert um den Flow Zustand zu perfektionieren?
Patric Grüner: Das lernst du einfach mit den Jahren bei den Langstreckenrennen. Das selbe gilt für die Powernaps usw. Den Beginn macht das Mentaltraining und dann kommt die Routine.
RSP: Wie war das Fahr- Schlafverhältnis bei dir während der RAAM?
Patric Grüner: Ich bin Tageweise gefahren, also 24 Stunden fahren und eine Stunde Schlaf oder von Timestation zu Timestation. Der Plan war, dass wir zwischen 04:00 und 05:00 Uhr schlafen gehen, sodass ich mit Sonnenaufgang losfahren kann.
RSP: Wie viel Kilometer bist du in 24 Stunden gefahren?
Patric Grüner: Im Schnitt und je nach Streckenprofil bin ich rund 800 Kilometer in 24 Stunden gefahren. Zwischen 500 und 600 Kilometer waren es in bergigen Abschnitten.
RSP: Hast du selber schon geahnt, dass das Rennen vorbei ist?
Patric Grüner: Geahnt habe ich es in der letzten Nacht, wo ich 100 Kilometer bis zum Wohnmobil mit dem Kopf in der Hand abgestützt und einhändig gefahren bin. Da habe ich gemerkt, dass die Kacke am dampfen ist. Ich habe zwei Stunden im Motel geschlafen, mit der Hoffnung dass es besser wird. Die Betreuer haben mir dann das Rad umgebaut: eine Eigenkonstruktion, dass ich den Kopf auflegen kann. Brachte aber nichts, genau sowenig wie die Halskrause oder ein Polster, auf dem ich den Kopf auflegen konnte. Da schlug ich mir sogar dreimal die Lippen auf. Auch das Gegengewicht hinten runter zu hängen hatte keinen Sinn mehr. Ich hab das Rad schnell wieder gewechselt und gemerkt, dass es richtig kritisch wird.
Ganz schlimm war es, als ich auf eine Stopptafel, bei einer Kreuzung zugefahren bin und beim rechts abbiegen nicht mehr links geschaut habe. Zudem konnte ich nur noch 10 bis 15 Meter sehen. Da habe ich gewusst, jetzt geht es nicht mehr weiter.
RSP: Dir wurde Shermer`s Neck diagnostiziert?
Patric Grüner: Genau, ich konnte den Kopf nicht mehr hoch halten. Keiner wusste, was mit den Nervenbahnen im Genick gewesen wäre, wenn ich weiterfahren wäre. Später wurde mir gesagt, ich hätte dieses Problem ziemlich ausgereizt.
RSP: Wie viel die Entscheidung, das Rennen zu beenden?
Patric Grüner: Ich habe das komplette Team zusammengerufen. Das Medienteam, das Basecar und den Camper. Vier Leute haben überdacht was wir jetzt tun. Sie haben mich dazu geholt und Vier gegen Eins ging die Abstimmung aus, dass wir nicht mehr weiterfahren. Mittlerweile akzeptiere ich es und stehe darüber - ein Monat danach. Bis vor ein paar Tagen konnte ich es nicht akzeptieren. Doch die Gesundheit geht vor. Wenn eine Querschnittslähmung im Raum steht, überlegt man schon, ob man weiterfährt oder nicht. Im Nachhinein betrachtet wäre es hirnrissig gewesen weiterzufahren. Wenn es nur 100 Meilen gewesen wären, wären wir Step by Step durchgefahren. Aber so nicht.
RSP Wie weit war es noch in das Ziel und an welcher Position warst du?
Patric Grüner: 1200 Kilometer waren es noch bis in das Ziel. Ich wollte diese in 1,5 Tagen fahren. Auf Position zwei wurde ich aus dem Rennen genommen.
RSP: Was ist das Shermen's neck?
Patric Grüner: Die Nackenmuskulatur besteht aus vielen kleinen Muskeln. Diese waren so übermüdet, dass keine Stabilität mehr vorhanden war. Wissenschaftlich gibt es noch keine einzigen Erkenntnisse. Das Problem ist, da müssten Ärzte und Wissenschaftler bei der RAAM in jedem einzelnen Team dabei sein. Im Schnitt erwischt es einen bis drei Teilnehmer bei der RAAM. Ein zusätzliches Problem war, dass die Straßen in Amerika bei der RAAM sehr holprig waren, nicht wie bei uns in Tirol. Es hat langsam begonnen aber war relativ schnell voll da. Die ersten Weh Wehchen hatte ich laut dem Betreuerteam nach 4,5 Tagen. Aus dem Renne wurde ich nach sechs Tagen und 12 Stunden genommen. Ganz schlimm war es in der letzten Nacht.
Walter Andre, Fotograf von Patric bei der RAAM: Die körperliche Verfassung von Patric war so gut, dass er in dieser Zeit den Vorsprung gegenüber den Athleten sogar ausgebaut hat.
Patric Grüner: Das Bittere war, das wir als Team alles richtig gemacht haben. Körperlich und mental war ich in einer sehr gute Verfassung. Gescheitert ist es wegen den paar Zentimetern zwischen Schulter und Kopf. Es hätte auch ein Tag Pause nichts genützt. Ich habe heute noch Probleme – nach einem Monat – mit schnellen links und rechts Bewegungen. Unser Arzt hatte gemeint, nach einer Woche hätten wir weiterfahren können.
RSP: Was ist nach der Entscheidung und dem Ende der RAAM in dir vorgegangen?
Patric Grüner: Die Welt ist für mich zusammengebrochen. Nach der Entscheidung raus zu gehen und vor 12 Leuten zu sagen: „Meine Freunde, wir müssen die Zelte abbrechen, es nützte nichts mehr!“, das war brutal, das wünsche ich meinem größten Feind nicht. Man darf eines nicht vergessen: wir alle haben ein ganzes Jahr dafür gearbeitet, jeder in seiner Sparte. Wir waren alle sechs Tage lang zusammen, haben 24 Stunden „gebuggelt“ und dann muss man aufhören. Wir haben alle zusammen geweint. Keiner hatte trockene Augen. Wir hatten alle das selbe Ziel: Indianapolis. Natürlich war es für mich als Athlet noch viel schlimmer. Für mich steht ein „do not finished“ in der Liste und somit ist das Projekt nicht abgeschlossen. Mit dem hatte ich die letzten Wochen brutal gehadert. Ich bin nie in die Öffentlichkeit oder in das Dorf gegangen, ich habe alles gemieden. Ich weiß, die Leute meinen es nur gut aber ich musste mir wieder alles anhören. Ich wollte keinem mehr eine Auskunft geben und mir selber einmal klar über alles werden.
RSP: Wie geht es dir heute?
Patric Grüner: Langsam komm ich mit der Sache klar und bin relativ guter Dinge, dass wir das in den Griff bekommen.
Ich habe wieder ein Ziel: Roman Ellinger hat mich gefragt, ob ich bei der 12 Stunden EM im Sechser Team mitfahren will. Ich bin schon wieder im Training. Bis dato bin ich nicht gefahren. Diese Saison fahre ich eventuell noch zwei bis drei Bergrennen.
In den nächsten Wochen fällt die Entscheidung ob ich nächstes Jahr wieder bei der RAAM starten werde.