Ein Leben voller intensiver Bergmomente auf der Suche nach Gedankenfreiheit

Nadine Wallner, zweifache Freeride-Weltmeisterin, über die Mediensensationsjagd und auf was es im Leben wirklich ankommt.

Nadine Wallner, war 2013 die jüngste Freeride-Weltmeisterin der Geschichte. 2014 verteidigte die Bludenzerin erfolgreich den Titel. Die 1989 geborene Skisportlerin zog sich im April 2014 bei Film-Dreharbeiten in Alaska offene Brüche am Schien- sowie Wadenbein zu. Im Jänner 2017 wird Nadine Wallner sich wieder offiziell die Skier bei der Freeride-World-Tour anschnallen. Wie es ihr mental dabei geht, wie es um ihre Erwartungshaltung bestellt ist und was sie wirklich emotional bewegt, erzählt sie im Gespräch mit Regionalsport.


Wenn du erwartungsfrei bist, bist du offener und emotional flexibler.


RS.: Die äußeren Verletzungen sind verheilt, aber wie frei bist du im Kopf?

Nadine Wallner: Ja, der 40 cm lange Nagel ist raus. Dadurch, dass ich Ende Jänner wieder richtig auf den Skiern gestanden und letzte Saison bei der Freeride World Tour mitgefahren bin, muss ich sagen, geht es mir vom Kopf her relativ gut. Ich habe gewusst, dass ich bei der Freeride World Tour nichts gewinnen werde, bin aber trotzdem mitgefahren, weil es für mich, vom Kopf her, total wichtig war.

 

RS.: Wie war es für dich, das erste Mal wieder am Start eines Konntests zu stehen?

Nadine Wallern: Ein emotionales Fiasko. Ich habe nicht gewusst wie. Ich dachte mir: „Aja, jetzt stehe ich wieder da!“ Es war ein komisches Gefühl. Eine Mischung aus, cool, Freude, es geht wieder aber auch aus „boa mit einem tiefem Durchschnaufer“.

 

RS.: Wie hast du dich die letzten zwei Jahre auf deine Rückkehr in die Freeride World Tour vorbereitet?

Nadine Wallner: Aktiv habe ich kein Mental-Training gemacht. Ich glaube, ich bin ein kopfstarker Mensch. Im Sommer klettere ich sehr viel, was mir mental sehr viel geholfen hat. Denn beim Klettern geht es viel um Überwindung – hast du das Commitment nicht, schaffst du den einen Zug in einer Felswand nicht. Wie beim Freeriden, wenn ich, zum Beispiel, einen tiefen Sprung mache und diesen Willen nicht zu 100 Prozent aufbringe, dann geht der Sprung in die Hose, die Landung klappt nicht gescheit oder ich springe vielleicht schlecht ab. Der Fokus muss dabei zu 100 Prozent auf die eigentliche Sache gerichtet sein. Von der mentalen Beanspruchung ist das Klettern ähnlich wie beim Freeriden.

Nebenbei bereite ich mich noch im Olympiazentrum Innsbruck mit Christoph auf die World Tour vor.

@ Josef Mallaun / Red Bull Content Pool
@ Josef Mallaun / Red Bull Content Pool

RS.: Hast du die kompletten zwei Jahre pausiert?

Nadine Wallner: Passiert ist der Unfall vor zwei Jahren, bin allerdings im ersten Jahr schon wieder auf den Skiern gestanden, aber nur weil ich gemeint habe, ich muss. Schmerzbedingt war es hart an der Grenze, sodass ich nach der ersten Abfahrt die Skier wieder abgeschnallt habe. Man braucht beim Skifahren einfach einen Schienbeindruck, sonst klappt das nicht. Erst im zweiten Jahr haben die Schmerzen merklich nachgelassen und ich habe mich wieder an das Skifahren ran getastet und immer mehr Selbstvertrauen aufgebaut.

 

RS.: Was gefällt dir besser: Snowboarden oder Skifahren?

Nadine Wallner: Ich kann Snowboarden. Im Zuge der staatlichen Skilehrerausbildung habe ich den Snowboardanwärter gemacht. Ich finde es ab und zu ganz witzig und spaßig, aber lieber fahre ich Ski.

 

RS.: Was ist für dich Freeriden, was bedeutet es für dich?

Nadine Wallner: Für mich ist Freeriden voller intensiver Bergmomente die Glück entfachen und vor allem mir Gedankenfreiheit und Gedankenlosigkeit verschaffen. In der heutigen Zeit ist es schwer, irgendwo einen gedankenfreien Moment zu finden. Beim Skifahren denke ich an nichts, außer an die Abfahrt und bin genau in diesem Moment. Das ist etwas, was immer mehr verloren geht – wir sind da aber im Gedanken ganz woanders.

@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool
@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool

RS.: In der Freeride World Tour gibt es das Format „Wild Face“. Bevorzugst du die ursprünglichen Tourstopps oder „Wild Face“?

Nadine Wallner: Es sind ganz unterschiedliche Formate. Wild Face ist ein Infernorennen. Da geht es um die Zeit und meine Vorgabe ist klar, was ich zu erfüllen habe: Ich muss am schnellsten unten im Ziel sein. Bei den Contests der World Tour geht es um mehr. Um die Ästhetik, Kreativität, wo finde ich die Line, wie und wo springe ich. Aber es geht auch darum, dass ich schnell und flüssig fahre, nur steht keiner mit der Stoppuhr da.

 

RS.: Wie kann ich mir den Ablauf bei einem Contest der Freeride World Tour vorstellen?

Nadine Wallner: Wir kommen zum Ort des Geschehens hin und haben eine klare Face (Hang) Vorgabe - mit Begrenzungen links und rechts, wo darf ich nicht fahren usw.. Wir haben dann einen Tag Zeit um einen Facecheck zu machen und um uns die Line face to face zu suchen. Mit Bildern und Diskussionen unter den anderen Ridern besprechen wir danach nochmals alles durch.

 

RS.: Was würdest du sagen, war dein schönster Moment bisher?

Nadine Wallner: Sportlich gesehen, dass ich das machen kann, was ich machen will und die Freiheit habe, was auch ein Privileg ist, zu tun was ich tun will. In der heutigen Zeit, ist das nicht gang und gäbe. Ich habe zwar Sponsorenverpflichtungen, aber auch die Freiheit das machen zu dürfen, was ich machen will.

Heutzutage haben die meisten Menschen Termine über Termine, es herrscht eine Bürokratie ohne Ende und wir sind ein Rad des Systems, bzw. ein Teil davon. Da ist es ein Privileg, wenn man davon etwas ausbrechen darf oder kann.

@ Philip Platzer/Red Bull Content Pool
@ Philip Platzer/Red Bull Content Pool

 

 

 

Beim Freeriden bin ich mit meinen Gedanken gerade da, wo ich eben gerade bin.

RS.: Wie bist du eigentlich zum Freeriden gekommen?

Nadine Wallner: Mein Papa ist Berg- und Skiführer. Meine Mama und mein Bruder fahren gut Ski. Ich habe mit dem Rennlauf angefangen. Unser Papa hat uns bereits schon früh in das unberührte Gelände mitgenommen und uns ein anderes Bewusstsein für den Berg mitgegeben. Das ist auch der Grund, was mich so geprägt hat, für das, was ich brauchte, nachdem ich den Rennlauf an den Nagel gehängt habe. Ich habe danach die staatliche Skilehrerausbildung gemacht und den Skiführer. Es ist einfach eine lässige Art und Weise anderen Leuten etwas zu zeigen und mitzugeben. Oder einfach nachdem Prinzip: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Es ist schön etwas geben zu können, aber auch ein Geld zu verdienen, schließlich wollen wir alle leben. Danach habe ich gemeint, ich muss wettkampfmäßig etwas ausprobieren. Eine Freundin hat mich dazu ermutigt, mich bei einem Freeride Konntest anzumelden. Ich bin mitgefahren und gleich darin aufgegangen.

 

RS.: Würdest du sagen, ist es einfacher in beruflicher Hinsicht, im Freeriden Fuß zu fassen oder im Ski-Alpin?

Nadine Wallner: Das ist ein schwerer Vergleich. Als Freerider bist du, wie auch in der Ausübung, zum großen Teil selbst verantwortlich. Sowohl in der Entscheidung die du triffst, als auch im Gelände. Der Alpine Rennlauf ist strukturiert und in einem Fachverband verankert sowie ganz anders geregelt. Man kann sage, dass ist, als ob man einen Selbstständigen mit einem Angestellten vergleicht.

 

RS.: Würde dir mehr Struktur gefallen?

Nadine Wallner: Nein. Eine Struktur ist zwar angenehm, weil du als Skifahrer vom Kopf her frei fahren kannst, da du dich um nicht viel kümmern musst. Beim Freeriden kannst du aber als Charakter ebenso erfolgreich sein. Beim Rennlauf musst du erst gewisse Ergebnisse liefern, damit du deine Karriere finanzieren kannst.

 

RS.: Wer wäre zum Beispiel so ein Charakterdarsteller?

Nadine Wallner: Candide Thovex. Er war einmal bei der Freeride World Tour erfolgreich und stieg danach aus. Er ist eine sehr inspirierende Person, wie etwa als Sportler und Filmemacher. Das kannst du zwar im Alpinen Rennlauf auch sein, aber du bist ständig in der Struktur gefangen. Wie zum Beispiel Bode Miller, ein Querulant, aber auch der muss sich dem System irgendwie fügen. Da haben wir als Freerider eindeutig mehr Freiheiten.

@ Josef Mallaun / Red Bull Content Pool
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RS.: Wie lange dauert eine Freeride-Saison?

Nadine Wallner: Die Contests sind von Mitte Jänner bis April. Generell versuche ich das ganze Jahr über Ski zu fahren. Im Sommer in Neuseeland oder Südamerika und im Frühjahr in der Chamonix oder in den Westalpen.

 

RS.: Hast du ein Lieblingsface?

Nadine Wallner: Face würde ich nicht sagen, wenn schon ein Gebiet. Ich bin sehr gerne zu Hause. Bin mit dem Arlberg sehr emotional verbunden. Ich bin dort aufgewachsen und kenne jeden Stein wie auch Strauch. Dort ist das Skifahren ganz anders, egal wie die Bedingungen sind, dort finde ich immer etwas zu tun. Bin aber auch gern in der Chamonix oder Zermatt. Dort stehen beeindruckende Berge. Am schönsten ist es aber zu Hause.

 

RS.: An was für Erlebnisse erinnerst du dich gerne zurück?

Nadine Wallner: Ich finde, der schönste Moment am Berg ist, wenn du biwakierst, den Sonnenaufgang erlebst und mit dem Tag aufwachen kannst. Das ist so schön, da musst du gar nicht viel dafür tun. Wenn du dann noch eine Powderabfahrt hast, dann läufst du mit einem Dauergrinser durch die Gegend. Wenn du diese Momente mit deinen besten Freunden teilen darfst, dann ist das eine emotionale Explosion von Glücksgefühlen.

 

RS.: Kann man Freeriden im professionellem Sinn überhaupt ohne Sponsoren betreiben?

Nadine Wallner: Ich kenne persönlich ganz viele Leute die den Sport leben und keine Sponsoren haben. Die sich trotzdem den Lebensstil ermöglichen, weil sie es wollen, weil sie den Berg und den Lifestyle richtig leben. Sponsoren sind fein, weil sie dir viel ermöglichen und es dich sorgloser macht, da du nicht jeden Cent umdrehen musst. Aber auf der anderen Seite, nehmen sie dir die Freiheiten wieder, die du durch sie bekommst, da Sponsorenverpflichtungen dazu kommen.

@ Philip Platzer/Red Bull Content Pool
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RS.: Was würdest du bevorzugen?

Nadine Wallner: In unserer heutigen Welt finde ich die Mediensensationsjagd so richtig krass. Jeder muss noch wilder und brutaler sein, aber das Eigentliche geht dabei verloren, dass du einfach das tust, was du eben gerade machst. Ich denke, ein gesunder Mittelweg ist der Richtige. Und wenn du einmal etwas nicht machst, dann machst du es einfach nicht, dafür bleibst du dir selber treu und authentisch.

Persönlich finde ich Leute, die das Freeriden richtig leben, absolut echt. Das Gefühl, wenn du mit denen fährst, ist einfach nur genial, weil du weißt, die leben den Sport zu 100 Prozent.

 

RS.: Was steckt hinter dem Freeriden?

Nadine Wallner: Enorm viel Vorbereitung. Das spezifische Training in einer Kraftkammer wird immer mehr. Ich persönlich mache das im Olympiazentrum Innsbruck mit Christoph. Aber nur, um eine gewisse Base zu bekommen. Ich bin mehr für die Vorbereitung draußen in der Natur. Dabei schaue ich darauf, was die Berge ergeben: Berglauf, Klettern, Skibergsteigen, etc.. Nach dem Motto: Was nötig ist indoor aber mehr von der Vorbereitung outdoor. Jeder wie er es mag und braucht.

@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool
@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool

RS.: Hast du Vorbilder?

Nadine Wallner: Vorbilder sind für mich alle, die es verstanden haben, um was es am Berg geht. Jeder der das zu 100 Prozent lebt. Zum Beispiel, Leute die auf ein Shooting verzichten um dafür einen tollen Powdertag mit seinen besten Freunden zu haben. Solche Menschen finde ich viel wertvoller als die ganzen mediengepushten Leute. Es gibt so viele wirklich coole Leute auf der Welt, die außergewöhnliches Leisten und medial nicht vertreten sind. Aber genau mit solchen Menschen, kannst du die beste Zeit in deinem Leben haben. Genau das sind meine Vorbilder, die verstanden haben, um was es geht im Leben.

 

RS.: Der Sport lebt doch auch von den Medien oder?

Nadine Wallner: Es ist ein wenig kontrovers. Einerseits leben wir davon, anderseits will ich auch nicht, dass der Sport kaputt gemacht wird. Finde es aber auch nicht richtig, wenn ich nicht mit den Medien rede, dann würde ich den Platz anderen überlassen. Ich denke es muss ausbalanciert bleiben.

 

RS.: Was hast du dir für die Saison vorgenommen?

Nadine Wallner: Nach den zwei Jahren ist für mich nur Skifahren angesagt. Vor allem befreit Skifahren zu können, der Rest ergibt sich.

Es ist ganz schwer im Leben, erwartungsfrei zu sein. Aber wenn du erwartungsfrei bist, bist du glücklich und erfolgreich.

@ Josef Mallaun / Red Bull Content Pool
@ Josef Mallaun / Red Bull Content Pool

RS.: Wie darf ich das verstehen?

Nadine Wallner: Meistens setzt du Erwartungen in ein Vorhaben, dass auch oft eintritt, aber manchmal in einer anderen Form. Du bist allerdings so festgefahren mit deiner Erwartung, dass du das gewünschte Ergebnis, welches in einer anderen Art und Weise eingetreten ist, gar nicht erkennst.

 

RS.: Was wäre dein Wunsch für die Freeride World Tour?

Nadine Wallner: Dass wieder mehr miteinander gefahren wird. Mehr Inspirationen und Momente geteilt werden, anstatt so viel für sich selbst zu beanspruchen.

Gerade weil wir in der Position sind, das Leben so zu leben wie wir es wollen, sollten wir mehr der Jugendszene mitgeben. Wie in etwa über das Bewusstsein zu Natur und Berg, über das Risikomanagement und über die Sicherheit. Das würde ich mir wünschen.

@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool
@ Angelo Brack / Red Bull Content Pool